Ausgangslage
Obwohl die Lebensmittelpreise in letzter Zeit stark gestiegen sind, profitieren viele Erzeuger und Erzeugerinnen von Lebensmitteln nicht davon. Ihre Position in der Wertschöpfungskette muss gestärkt werden. Besonders auf dem Milchmarkt sind die Machtasymmetrien stark ausgeprägt: So gibt es in Deutschland rund 50.000 Betriebe, die Milch erzeugen und sich dabei häufig zu Erzeugerorganisationen zusammenschließen, aber nur rund 140 Molkereien, darunter einige Großmolkereien (BLE, 2022). Die Marktmacht der Ernährungsindustrie trägt erheblich zum Höfesterben bei und hindert viele Betriebe daran, in nachhaltigere Stall- und Ackerbausysteme zu investieren. Auf dem Milchmarkt ist es üblich, dass Betriebe ihre Rohmilch liefern und erst im Nachhinein den Preis für ihre Ware erfahren. Im Jahr 2020 verfügten lediglich circa 28 Prozent aller Milchbetriebe über Festpreisangebote (ife Studie, 2024; BMEL 2025). Seit 2000 hat sich die Zahl der milchviehhaltenden Betriebe von 142 250 auf heute unter 50 000 reduziert (BMEL FAQ 2024). Dies zeigt, dass die einseitige Festsetzung der Milchpreise durch die Molkereikonzerne nicht zu fairen Bedingungen für die Erzeugerinnen und Erzeuger führt. Deshalb ist wichtig, was in anderen Branchen längst üblich ist – nämlich verbindliche Verträge als Grundlage von Geschäftsbeziehungen – auch auf dem Milchmarkt. Der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) ermöglicht es den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), nationale Vorgaben für die vertragliche Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zwischen Milchbauern und Molkereien festzulegen.
Was haben wir erreicht?
Im Rahmen des Agrarpakets 2024 haben wir als Grüne Fraktion bereits einige Anpassungen des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG) durchgesetzt, um die Position der Erzeuger zu stärken, indem noch deutlicher gegen unlautere Handelspraktiken vorgegangen wird. So wurde der Schutz großer Lieferanten entfristet und die Umgehung von Vorschriften wirksamer verboten (BMEL 2024). Darüber hinaus wurde die Schaffung einer weisungsfreien, unabhängigen Ombudsperson beschlossen, an die sich Betriebe vertrauensvoll wenden können. Zusätzlich trat im Dezember 2023 der Artikel 210a der GMO in Kraft, der Erzeugerinnen und Erzeugern, die Nachhaltigkeitsstandards umsetzen, die Möglichkeit bietet, ihre Absprachen zu erleichtern (Marita Wiggerthale 2023).
Die Anwendung des Artikels 148 GMO ist ein weiterer notwendiger Schritt. Zwar wird dieser nicht sofort zu höheren Preisen führen, aber er ermöglicht es den Milchbauern, ihre Einnahmen vorab zu kalkulieren, mit anderen Molkereien zu verhandeln und ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen. Auch die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) spricht sich dafür aus: „den in der GMO geschaffenen Rahmen (…) zu nutzen. Um die Planungssicherheit für Erzeuger:innen zu erhöhen, sollten verbindliche Lieferverträge mit konkreten Angaben über Menge, Qualität, Preis und Laufzeit des Vertrages umgesetzt werden“ (ZKL 2024). Der Artikel 148 wird bereits in 13 EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt: in Frankreich, Spanien, Italien, Litauen, Ungarn, Slowakei, Kroatien, Zypern, Portugal, Bulgarien, Rumänien, Slowenien und Polen. Gerade hat die EU Kommission Vorschläge vorgelegt, die die Einführung der Vertragspflicht obligatorisch zu machen. Auch der neue Agrarkommissar Christophe Hansen aus der konservativen EVP spricht sich hierfür aus: „Ich verspreche mir auf jeden Fall stabilere Preise und die nötige Vorhersehbarkeit. Denn das ist das, was ein Landwirt braucht“, dabei betont er, dass die Umsetzung auch bürokratiearm möglich ist, es müssen „keine zehnseitigen Lieferverträge“ sein (Hansen 2025, topgrar).
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat mittlerweile einen Entwurf zur nationalen Umsetzung des Artikels 148 in die Länder- und Verbändeanhörung gegeben (BMEL, 2024). Demnach müssten Molkereien den Erzeugerinnen und Erzeugern ein Vertragsangebot unterbreiten, das für mindestens 80 Prozent der gelieferten Rohmilch einen Preis-Mengen-Bezug enthält. Diese Angebote müssen schriftlich oder elektronisch vorgelegt werden. Genossenschaftlich organisierte Molkereien sind nur dann ausgenommen, wenn sie bereits vergleichbare Satzungsregelungen oder Lieferbestimmungen umsetzen.
Was bleibt zu tun?
Der Verordnungsentwurf muss nun noch vom Kabinett und dem Bundesrat verabschiedet werden. Leider fehlen uns hierfür derzeit die nötigen Mehrheiten. Dennoch bleibt es für uns Grüne ein zentrales Anliegen, die Position der Landwirtinnen und Landwirte in der Lebensmittelwertschöpfungskette nachhaltig zu stärken. Dies ist ein unverzichtbarer Schritt für die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Die Umsetzung des Artikels 148 ist dabei nur ein wichtiger Baustein. Gleichzeitig brauchen wir auch das Gebot, Lebensmittel zu kostendeckenden Preisen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu kaufen und die Umsetzung einer Preistransparenzstelle für Lebensmittel und die Einsetzung einer Ombudsperson. Ich werde mich weiterhin persönlich für diese Ziele einsetzen, um eine faire und zukunftsfähige Landwirtschaft zu fördern.
Weiterführende Links:
BMEL – Pressemitteilungen – BMEL stärkt Milchbauern
Strategische Leitlinien und Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft
Art 148 Positionierung und Faktencheck