Doppelte Ernte ist das Ziel, wenn es um Photovoltaikanlagen auf Obstflächen geht. Dafür fordern die Bauern mehr Forschungsmittel im Norden. Im Süden wird dazu längst geforscht – mit interessanten Ergebnissen.
Jork. In Süddeutschland läuft ein Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), unterstützt vom Land Baden-Württemberg. Fünf Anlagen zählt die Modellregion Agri-Photovoltaik. 2,5 Millionen Euro hat Baden-Württemberg seit 2022 investiert. Unter den Solarmodulen stehen Kulturen wie Äpfel, Kiwis, Birnen und Zwetschgen
Bei der ersten Anlage auf einem Obsthof in Kressborn am Bodensee gibt es nach zwei Jahren erste Ergebnisse: Laut ISE konnte Obstbauer Hubert Bernhard auf seiner Fläche unter der Agri-PV-Anlage fast 70 Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen. Der Bewässerungsbedarf konnte demnach um 50 Prozent reduziert werden.
Damit nicht genug: Die Photovoltaikanlage über den Obstbäumen habe 20 Prozent mehr Strom produziert als erwartet. Die Forscher vermuten, dass vor allem Verdunstungskühlung und Hinterlüftung für den erhöhten Stromertrag verantwortlich sind. „Es profitieren nicht nur die Pflanzen von der PV-Anlage, sondern auch die PV-Anlage von den Pflanzen, wenn man die Agri-PV-Anlage passend plant“, bringt es Fraunhofer-Projektleiter Oliver Hörnle auf den Punkt.
Obstbau: Modellprojekt im Norden notwendig
Letztlich handelt es sich jedoch um Momentaufnahmen, schließlich stehen die Bäume bei Dauerkulturen wie dem Apfel bis zu 20 Jahre. Außerdem unterscheiden sich Wetter und Schädlingsdruck von Jahr zu Jahr. „Können Forschungsergebnisse aus Süddeutschland einfach auf unsere Region übertragen werden?“ Diese rhetorische Frage stellte der Leiter des Obstbauzentrums Esteburg, Dr. Karsten Klopp, beim Besuch von Staatssekretär Stefan Wenzel aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der Agrarexpertin und Bundestagabgeordneten Dr. Monika Spallek in Jork (beide Grüne).
Die Antwort der Altländer lautet Nein. Ein Grund: Die Sonnenscheindauer beträgt am Bodensee rund 1700 Stunden im Jahr, im Alten Land sind es etwa 1500 Stunden. „Es ist eine sehr ausführliche, standortgenaue Prüfung notwendig“, sagt Klopp. Er mahnt mehrjährige Versuche an. Ähnlich wie seinerzeit bei den Hagelschutznetzen im Apfelanbau oder bei den Dächern über Süßkirschenanlagen, müsse es auf der Esteburg und in Praxisbetrieben einen Langzeitversuch geben. Der Handel lege großen Wert auf Fruchtqualität (Ausfärbung, Festigkeit, Größe und Geschmack). Außerdem müsse der Ertrag ausreichend sein. Kurzum: Die Verschattung darf nicht zu stark sein, denn Licht ist ein entscheidender Faktor der Fruchtentwicklung, Stichwort Photosynthese.
Weiterer Forschungsbedarf für Agri-PV
Jens Stechmann und Claus Schliecker von der Bundes- beziehungsweise Landesfachgruppe Obstbau appellierten an die Grünen, sich für ein Modellprojekt wie in Baden-Württemberg auf der Esteburg und in Praxisbetrieben starkzumachen. Die Kleinanlage in Moorende habe grundsätzlich gezeigt: Agri-PV ist technisch umsetzbar. Es müsse allerdings noch untersucht werden, welche lichtdurchlässigen Photovoltaik-Module und -Technik für die Fruchtentwicklung am besten
seien und wie Obstbauern ihre Erträge produktionstechnisch sichern könnten, so Klopp.
„Die Marschböden sind sehr wertvoll, der Fokus muss weiter auf der Nahrungsmittelproduktion liegen“, war sich Schliecker, Sprecher von 500 Familienbetrieben an der Niederelbe, mit Wenzel einig. Schliecker war Vorreiter bei den Dachkirschen-Anlagen, die 15 Jahre nach der Einführung auf einen Anteil von 80 Prozent kommen. Schliecker: „Wir wollen uns der Agri-PV nicht verschließen.“
PV-Anlagen könnten Obst schützen
Grundsätzlich schützten die PV-Anlagen die Früchte vor Hagel. Pilzkrankheiten wie Schorf ließen sich deutlich reduzieren. Fungizide (chemische oder biologische Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe gegen Pilze und ihre Sporen) könnten um bis zu 70 Prozent reduziert werden. Bei der Beregnung gegen Sonnenbrand müsste wegen der geringeren Verdunstung weniger Wasser eingesetzt werden.
Andererseits könnte das Mikroklima unter den Solarmodulen die Plantagen zum Paradies für Blutläuse machen. Möglicherweise müssten mehr Insektizide eingesetzt werden.
Spitzen-Grüne wollen Forschung stärken
Im Zuge des geplanten neuen Forschungsprogramms Kermit will das Obstbauzentrum Esteburg mit der Universität Hamburg und dem Fraunhofer Institut auf ihren digitalen Zukunftsbetrieben unter anderem den Klimaschutz und die Treibhausgasminderung vorantreiben. Erste Ideen: Ungenutzte Flächen an den Wegrändern und in Bereichen zur Abdriftminderung im Pflanzenschutz in den Obstplantagen werden aktiviert, um PV-Module zu installieren, so Esteburg-Leiter Dr. Karsten Klopp.
Diese sollen erneuerbare Energie für die Umsetzung von Eisspeichern in den klassischen Lagersystemen und für elektrobasierte Feldgeräte generieren. Der Öko-Strom könnte in sonnenreichen Monaten in Form von Eis in den Apfellangzeitlagern (CA/Ulo) gespeichert werden, erklärt Esteburg-Expert Dr. Dirk Köpcke. Diese „Kühl-Akkus“ könnten an den Wänden der CA/Ulo-Lager stehen und nach dem Einlagern nach der Ernte „wie früher in Eiskellern und Lagerhäusern“ zur Kühlung der Äpfel genutzt werden. Ziel müsse es sein, die Energiekosten zu reduzieren. Das könnte laut Esteburg-Vize Dr. Matthias Görgens auch dazu beitragen, die Produktionskosten zu senken – und den Obstbau im Wettbewerb zu stärken. Die Grünen lobten das Vorhaben.
Hohe Investitionskosten
Bei Investitionskosten bei Agri-PV-Anlagen von bis zu 800.000 Euro pro Hektar müsse sich die doppelte Ernte (Solarstrom plus Früchte) lohnen, so Stechmann. Der Bund habe die Förderung erhöht. Vertikale Anlagen an Rändern der Plantagen seien ebenfalls möglich, so Spallek. Agri-PV-Anlagen seien bis zu einer Größe von 2,5 Hektar baurechtlich privilegiert worden und könnten so einfacher realisiert werden.
Bis 2030 sollen zur Erreichung des Ziels klimaneutraler Stromsektor des Bundes rund 215 Gigawatt (GW) an PV installiert werden, davon die Hälfte auf Gebäuden oder Lärmschutzwänden. Agri-PV wurde zum Schutz der Nahrungsmittelproduktion auf maximal 80 GW begrenzt. Ein GW reicht, um 700.000 Haushalte zu versorgen. Die Grünen sprachen von einer Win-win-Situation – für die Obstbauern und den Klimaschutz. Wenzel und Spallek sagten zu, sich in Berlin und Hannover für Forschungsmittel einzusetzen. Wenzel: „Angewandte Forschung ist hier sehr sinnvoll.“
25. Juli 2024, Björn Vasel, Tageblatt online